Verleihung der Georg-von-Vollmar-Medaille

an Hermann Dorfmüller





Die höchste Ehrenauszeichnung der Bayrischen SPD



Eine der höchsten Auszeichnungen, die die SPD in Bayern zu vergeben hat, erhält Hermann Dorfmüller (Lindau) am 22.08.2003 im Alten Rathaus Lindau für besondere Verdienste um die Bayerische Sozialdemokratie, überreicht in einem feierlichen Festakt von der Landtagsabgeordneten Heidi Lück. Die Georg-von-Vollmar-Medaille, mit der bisher 43 bayerische Sozialdemokraten ausgezeichnet wurden, darf insgesamt überhaupt nur 200 mal verliehen werden.






Laudatio von MdL Heidi Lück auf Hermann Dorfmüller




Natürlich war dem Lehrer Hermann Dorfmüller die Überwindung der konfessionellen Rassentrennung ein großes Anliegen und natürlich war er deshalb mit Feuereifer dabei, 1967 dem Volksbegehren „Gemeinsam zur Schule“ zum Erfolg zu verhelfen – und auf Grund eines tollen Einsatzes vor allem vieler junger Menschen hat der Kreis Lindau seinerzeit mit fast 20 % ein bayerisches Spitzenergebnis eingefahren. Dieses Erfolgserlebnis und natürlich wohl auch die Erfahrung, gemeinsam etwas erreicht zu haben – etwas erreichen zu können, hat den jungen Lehrer Dorfmüller in die SPD gebracht. Mit viel Schwung gründet er im Juni 1970 mit Gleichgesinnten in Lindau eine Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten und sie machen viel Furore.


Durch die Nominierung unseres Günter Wirth als Landtagskandidaten gegen Rolf Fackelmayer haben die Jusos, hat Hermann Dorfmüller sozusagen das Fundament einer langen Reihe von innerparteilichen Auseinandersetzungen gelegt, die letztlich mit dem Austritt Fackelmayers endeten.

Aber nicht nur durch einen engagierten Wahlkampf, der, im übrigen einmalig, ein SPD-Landtagsmandat nach Lindau brachte, sind die Jusos unter Hermann Dorfmüller aufgefallen, sondern auch durch die Besetzung von Themen, die damals eigentlich noch gar nicht so „in“ waren, wie

· der Schutz des Trinkwasserspeichers Bodensee,
· die drohende Müll-Lawine,
· oder die Forderung des freien Zugangs zum Bodenseeufer.


Alles Probleme, die Hermann anstieß und um die Jahre gerungen werden musste, bis Besserungen erreicht werden konnten, der Streit um den Zugang Leuchtenbergpark konnte erst im vorigen Jahr positiv beendet werden.

Aber auch Hermanns Forderung, die NS-Opfer, insbesondere die Sozialdemokratin Adelheid Donderer, nicht zu vergessen und unter Hitler verfolgte Lindauer zu ehren, ging einigen wohl etwas zu weit.

Ihren damals wohl spektakulärsten Erfolg aber haben Hermann und seine Jusos in ihrem Kampf um ein Jungendzentrum eingefahren - und witzigerweise erst, als sie auf die Abzockerei und den obligatorischen Alkohol-Schuss in Lindaus Amüsiermeile hingewiesen haben. Bei der Sieges-Fete konnten sie 200 junge Leute im Zeughaus begrüßen.



In der Folge greifen die Jusos, mit Hermann Dorfmüller an der Spitze, vor allem mit kreativen Einfällen urdemokratische Anliegen auf und fordern

· menschwürdiges Wohnen in städtischen Übergangswohnheimen,
· betreuen Kinder bei den Hausaufgaben,
· und machen eine Seeputzfete mit ihrem Abgeordneten Günter Wirth unter dem Motto: „Das Ufer ist jetzt sauber – der See bleibt dreckig“

Und natürlich wird viel und ausführlich diskutiert – aber mit den Referenten, die Hermann Dorfmüller einlädt, macht er sich beim Vorstand nicht gerade beliebter, obgleich die Mitgliederzahlen steigen, wie nach der berühmtberüchtigten Bierfilzl-Rede von Rudi Schöfberger, der 6 Neueintritte folgten, oder dem urlinken schleswig-holsteinischen Landesvorsitzenden Jochen Steffen.



Bei den Stadtratswahlen 1972 wird ein Wahlkampf mit Orangen geführt, denn die Partei, so die damals aktiven, sei eher Orange als Rot. Aber es machte offensichtlich Spaß und riss die Leute mit. Nach dem Motto „versprochen – gehalten“ wurden die Leistungen der SPD im Stadtrat aufgezeigt und 6.3 % dazu gewonnen.

Diese Erfolge riefen natürlich die Schwarzen auf den Plan – aber nicht um sich im fairen Wettkampf zu messen, sondern um, speziell den Vorsitzenden der Jusos, Hermann Dorfmüller zu diffamieren. Es wird ihm und den Jusos Klassenkampf und Enteignung unterstellt – Ihr erinnert Euch sicher an „Kirchtürme abreißen und Häuser enteignen“.

Trotzdem konnte die SPD 2 Mandate mehr erringen und Hermann Dorfmüller, der, oft auch von den eigenen Leuten angegriffene, Juso-Vorsitzende wurde 1972 zum Stadt- und Kreisrat gewählt.

Das gab Auftrieb und beim anschließenden Bundestagswahlkampf verhelfen Hermann und seine Jusos mit Ihren Kampfgeist Dieter Lattmann, vor allem im Straßenwahlkampf, zu einem hervorragenden Ergebnis. Wechselstimmung macht sich breit – und Willy Brandt gewinnt die Herzen der Menschen auch in Lindau. Mit der Wählerinitiative „Bürger für Brandt“ können der CSU 10 % Stimmen abgejagt werden. Die Freude war groß und die Fete im Schloss Holdereggen entsprechend.

Im März 1973 übernimmt Hermann Dorfmüller den OV-Vorsitz bis 1978. Es erscheint vierteljährlich der „Lindauer Vorwärts“, der sich alsbald in SOZI umbenennen muss, wohl weil die Bonner „Vorwärts“-Macher die Lindauer Konkurrenz fürchten? Zusammen mit MdB Dieter Lattmann und MdL Günter Wirth greift Hermann Dorfmüller die großen Themen der Zeit auf - der Volksentscheid Rundfunkfreiheit wird zum großen Erfolg.

Natürlich auch örtliche Themen hielten und halten die SPD heute noch in Atem. Ging es damals um die Überführung der B12 und den Ankauf des Kasernengeländes, geht es heute um den Inselbahnhof und die Weiterentwicklung der Insel. Ging es damals um die Verhinderung eines Atomkraftwerkes am schweizerischen Oberlauf des Rheins, geht es heute um den Ausbau alternativer, regenerativer Energien und um den endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft. Und damals wie heute kämpft Hermann Dorfmüller immer an vorderster Front mit.

Und wie das so üblich ist, wer aktiv ist, wird auch eingebunden, deshalb arbeitete Hermann Dorfmüller natürlich auch im Kreisverband und Unterbezirk mit und übernahm in der Folgezeit viele Kandidaturen. Als Landtagskandidat forderte er 1974 – pikanterweise als Sozialdemokrat – dass die landschaftspflegerische Arbeit der Bauern zu vergüten ist. Das wurde Dir, lieber Hermann, damals sicher eher übel angekreidet - heute ist das akzeptiert, wie so vieles, was Du früher angestoßen hast. Die Frage in der Landschaftspflege heute ist eigentlich nur noch die Höhe der Vergütung.

Leider spielt die CSU wieder ihr altes Spielchen und diskriminiert Hermann Dorfmüller und unterstellt ihm verstaubten Klassenkampf. Hermann Dorfmüller, und mit ihm die Jusos, antwortet mit Staeck-Plakaten: „Arbeiter, die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen!

Der Schwabenstreich – wie mit Günter Wirth – das Mandat zu erringen, gelang leider nicht. Dies tat seinem Engagement aber keinen Abbruch – Themen gab es genügend und auch Angriffspunkte - nicht immer zum Vergnügen der „Altvorderen“ zeigt er immer wieder Schlitzohrigkeit der CSU auf.

Als besonders werbeträchtig erwies sich die Verteidigung Heubls gegen Strauß, als dieser, wie übrigens dies sein heutiger Nachfolger Stoiber heute noch viel gekonnter mit unliebsamen Parteifreunden macht – Heubl als „stinkfaul“ abkanzelte (was aber im übrigen gestimmt haben soll).


Hohe Wellen der Empörung löste Hermann aus, als er aufdeckte, dass im Kreiskrankenhaus die CSU-Postille „Der Bayernkurier“ vom Landrat abonniert war.

1978 gibt Hermann den OV-Vorsitz ab, wird Kreisvorsitzender und kandidiert zum Bundestag. Und just in diesem Augenblick wird ihm die Stelle im Auslandsschuldienst angeboten, die ihm zuvor jahrelang beharrlich verweigert wurde. Ein Narr, der hier böses denkt. Aber herzlichen Dank Hermann, dass du dieses Angebot zugunsten einer, im Prinzip aussichtslosen aber für die SPD so wichtigen Kandidatur ausgeschlagen hast.

Eine, für mich, ganz tolle Aktion war die Vermessung des freien Bodenseeufers mit dem Ergebnis, dass auf den rund 6000 Metern Ufer in Nonnenhorn der See auf ganzen 291 Meter frei zugänglich ist. Ich frage mich, wie viele es wohl heute nach Deinem langen und intensiven Kampf sind? Messt Doch einfach wieder einmal nach.

Neben der Kommunalpolitik und dem andauernden Kampf Hermann Dorfmüllers mit und gegen Henninger, der sich gleich dem Kaiser über Recht und Gesetz, vor allem aber über den Umweltschutz hinwegsetzte, werden natürlich auch die großen Themen der Zeit nicht vergessen:

· der Kampf gegen Öl-Kavernen im Kalanda-Massiv.
· die Abrüstungsdiskussion, in deren Verlauf es Hermann Dorfmüller gelingt, einen Stadtratsbeschluss zu erreichen, der Lindau als Atomwaffenfreie Zone ausweist.
· Eine Gedenktafel für die Opfer des Faschismus wird genehmigt – und in der Peterskirche angebracht. Die Namen der Opfer aber muss Hermann Dorfmüller selbst herausfinden.


Im Wahlkampf 1982, wiederum als Kandidat, bekommt er nochmals die volle Breitseite der CSU zu spüren, die dem Wähler einreden will, dass nur mit der, von den „Schwarzen“ propagierten „Wende“ eine angeblich ungeheure Erblast beseitigt werden könnte. Was daraus wurde, haben wir ja leider alle erlebt. Statt Abbau wurde die Erblast gesteigert.

Ein auch für mich sehr bitteres Erlebnis war der Verlust des aussichtsreichen Listenplatz bei der Bundestagswahl 1986, den wir mit Hermann Dorfmüller auf Bezirksebene erkämpft hatten, der uns aber durch die Seilschaft der Amtierenden bei der Landesvertreterkonferenz wieder abgejagt wurde.

1989 zur Europawahl sollte mit dem als sicher geltenden Platz 33 der Durchbruch gelingen. Der unerwartete Einbruch der SPD, bzw. der Einzug der Reps und der FDP raubte dem Kreis Lindau die Chance, in Hermann Dorfmüller endlich wieder einen „eigenen Abgeordneten“ zu haben – trotz des Stimmenzuwachses.

Mit dieser Darstellung habe ich natürlich nur einen Bruchteil dessen aufgezeigt, was Du für uns, für die Partei, für die Allgemeinheit und die Gesellschaft geleistet hast.


Für deine Arbeit

· als Stadt- und Kreisrat seit 1972,
· für 25 Jahre Engagement für die deutsch-französische Städtepartnerschaft,
· die Gründung von 2 Schulpartnerschaften mit Cheller Schulen,
· die Organisation von Schüleraustausch in Sommer- und Pfingstferien,
· für 20 Jahre ehrenamtlicher Beirat der Lindauer Volkshochschule und seit über 40 Jahren Dozent, Kurs- und Reiseführer für diese Einrichtung,

wurdest Du, lieber Hermann, 3x für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen und 3x mal wurde dies – aus welchen fadenscheinigen und schwarzen Gründen auch immer – leider abgelehnt. Ich kann dazu nur auf gut bayrisch sagen: „die Deppen wissen wirklich nicht, was sie da tun“.


Wir Sozialdemokraten aber wissen es und wir wissen auch Deine gelegentlich kritische Haltung zu würdigen, nicht umsonst stehst Du in einer Reihe mit Herta Däubler-Gmelin, Renate Schmidt, Christian Ude, Hermann Scheer, Wolfgang Thierse und vielen anderen als Träger des Sozialistenhuts für Deine immer sozialdemokratische Politik – wenn auch nicht ohne Ecken und Kanten – die fehlen zwar beim Hut – die Träger müssen diese haben.

Und ich freue mich persönlich sehr und es ist mir eine große Ehre, Dich heute mit einer der höchsten Auszeichnungen der Bayerischen SPD ehren zu dürfen, der Georg-von-Vollmar-Medaille, die zurückgeht auf eine der markantesten Persönlichkeiten in der bayerischen SPD.

Als adeliger Beamtensohn wurde Georg von Vollmar päpstlicher „Schlüsselsoldat“ und lernte dort kirchliche Macht kennen. Er verweigerte einen Hinrichtungsbefehl und ging. Nach Kriegseinsatz fand er über das Studium von Feuerbach, Bebel und Liebknecht zum Sozialismus, während der Sozialistengesetze kam er ins Gefängnis, danach emigrierte er in die Schweiz und wurde Redakteur des „Sozialdemokraten“. Er wurde Reichstagsabgeordneter und hielt in München seine berühmte „Eldorado“ Rede. Er war mutig und kämpfte trotz schwerer, körperlicher Beeinträchtigung für die Weiterentwicklung der Gesellschaft und der Partei. Vollmar starb 1922.


Und ich denke, nein, ich weiß: Du, lieber Hermann Dorfmüller, bist ein würdiger Träger dieser Medaille, die ich Dir im Namen der BayernSPD jetzt übergeben darf:


„Die Bayerische SPD verleiht Hermann Dorfmüller die Georg-von-Vollmar-Medaille für besondere Verdienste um die bayerische Sozialdemokratie.“


Ich gratuliere Dir sehr herzlich.






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Impressionen der Verleihung



            

            






Die Georg-von-Vollmar-Medaille


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Vorderansicht                                 Rückseite    



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Die zugehörige Anstecknadel




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Die zugehörige Verleihungsurkunde






Zur Person Georg von Vollmar


"Als Sohn eines kleinen Staatsbeamten und verarmten Adeligen wurde "Georg Karl Joseph Heinrich Ritter von Vollmar auf Veltheim" am 7. März 1850 in Miesbach geboren. Nichts deutete zunächst auf die Biographie eines großen Sozialdemokraten hin. Zu einer wenigstens standesgemäßen Erziehung schickten ihn seine Eltern in das Benediktiner-Gymnasium nach Augsburg, in dem der Adel weitgehend unter sich war. Den Mauern des Klostergymnasiums entfloh Georg von Vollmar schon mit 15 Jahren und tat bis zum Ende des Krieges gegen Preußen 1866 Dienst im 3. Kürassier-Regiment der Königlichen Bayerischen Armee. Insofern blieb er erst einmal ganz in der Soldatentradition der Familie.

Später kämpfte er als Fremdenlegionär im päpstlichen Dienst und verteidigte den römischen Kirchenstaat gegen Garibaldi, den militärischen Führer der staatlichen Einigung Italiens. Diesen Einsatz "für den Papst" wusste von Vollmar später in mancher Redeschlacht gegen Dorfgeistliche in gut katholisch-bäuerlicher Umgebung auszunutzen, konnte er doch darauf verweisen, dass er - anders als die jeweils Anwesenden - sein Leben für Papst und Kirche aufs Spiel gesetzt hatte.

Das Jahr 1870 schließlich sah von Vollmar erneut in bayerischer Uniform, jetzt im Krieg gegen Frankreich, der sein Leben entscheidend änderte. Eine Trage, auf der er wegen einer leichten Blessur am Knie abtransportiert wurde, brach zusammen, beim Sturz zog sich Vollmar eine Rückenverletzung zu, von der er sich Zeit seines Lebens nicht wieder ganz erholen sollte.

Als Kriegsinvalide bildete sich der adelige Militär Georg von Vollmar zum adeligen Sozialisten; er wurde Journalist, 1877 Schriftleiter der sozialdemokratischen "Dresdner Volkszeitung", 1881 sächsischer Reichstagsabgeordneter und zwei Jahre später zusätzlich sächsischer Landtagsabgeordneter, 1893 bayerischer Landtagsabgeordneter.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Vollmar seinen Lebensmittelpunkt schon lange nach Bayern verlegt und sich in der bayerischen Sozialdemokratie einen Namen gemacht - und mehr: Mit zwei Reden in der Münchner Gaststätte "Eldorado" wies Vollmar 1891 der bayerischen SPD einen eigenständigen, reformistisch-parlamentarischen Weg, der sich klar von dem der Berliner Mutterpartei absetzte. Das hatte auf Reichsparteitagen in den 90er Jahren mehrmals beinahe den Parteiausschluss zur Folge, doch Vollmar war - seit 1892 Gründer und Vorsitzender der gesamtbayerischen SPD - zu stark und einflussreich für solch eine spektakuläre Maßnahme.

Seit Beginn des Ersten Weltkrieges zog sich Vollmar, den sein Rückenleiden zunehmend peinigte, Schritt für Schritt aus der aktiven Politik zurück, 1918 legte er nach 26 Jahren den bayerischen Parteivorsitz nieder. Von seinem Wohnsitz am Kochelsee aus erlebte er noch den Sturz der Wittelsbacher Monarchie in Bayern, die Gründung der Weimarer Republik und, 1920, der NSDAP, im Jahr darauf die Wahl Adolf Hitlers zu deren Vorsitzenden. Am 30. Juni 1922 starb Georg von Vollmar.

Georg von Vollmar war ein Vordenker von besonderer Statur. Von akademisch-theoretischen Erörterungen hielt er nichts und begründete gleichzeitig ein politisches Programm und eine praktizierte Politik, die von der Bundespartei erst ein halbes Jahrhundert später nachvollzogen wurden. Ein Menschenleben vor Godesberg nahm Georg von Vollmar von der Doktrin der SPD als Partei des Klassenkampfes Abschied. Er vertrat sein Leitbild sozialer Gerechtigkeit, wie es in den Eldorado-Reden ausgebreitet wird, nicht nur im Interesse der Arbeiterschaft, sondern auch in dem der Bauern. Darin drücken sich nicht nur die Erfahrungen im bäuerlich geprägten Bayern aus, sondern auch die erklärte Absicht, Politik mit der und für die "Mehrzahl des Volkes" (GvV) zu machen. Vollmars BayernSPD wollte die Monarchie beseitigen, aber nicht mit dem proletarischen Hammer vernichten, wollte die bürgerlichen Schichten nicht niedersicheln sondern gewinnen. Der Schritt von der Klassenpartei zur Volkspartei war in Bayern schon um die Jahrhundertwende vollzogen, wenigstens programmatisch.

Der sozialistische Moralist und Realpolitiker, der geschickte Taktiker und Humanist Vollmar prüfte, was war, und nahm für seine sozialdemokratische Politik das Beste - das Beste für alle, die guten Willens waren. Der adelige Sozialist Georg von Vollmar, der in der Stadt lebend die Industrie begriff und auf dem Land lebend wie ein Bauer dachte, brachte vor hundert Jahren schon zusammen, was wir immer noch dringend lernen müssen: Naturverbrauch und die Form der Güterproduktion so zu organisieren, dass wir nicht in den Schutthalden ersticken, die wir vor uns herschieben, nicht an den Giften zugrunde gehen, die in den Meilern der industriellen Zivilisation freigesetzt werden.

Vollmar, der der "König der bayerischen Sozialdemokratie" genannt wurde, war ein überzeugter Republikaner. In Abkehr von Hegel ebenso wie von Marx (und Teilen der Sozialdemokratie seiner Zeit) setzte er auf den Parlamentarismus als Mittel des Ausgleichs und der gerechten Beteiligung aller Schichten des Volkes an der Regelung der öffentlichen Angelegenheiten.

So gilt noch immer, was Wilhelm Hoegner vor einem Vierteljahrhundert befand: Er rühmte Georg von Vollmar als einen Parlamentarier, "der für die Sozialdemokraten im Bayerischen Landtag ein bis heute unerreichtes Vorbild geblieben ist."


Von Renate Schmidt, ehem. Vorsitzende der BayernSPD